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Nachruf

Farewell, Renate Gruber!



Wer in ihrem Beisein zu behaupten wagte, sie lebe für die Fotografie, wurde rasch eines Besseren belehrt. Nein, bekannte Renate Gruber mit Augenzwinkern, aber stets mit höflichem Nachdruck: Tatsache sei vielmehr, dass sie die Fotografie lebe! 

Was dieser feine Unterschied bedeutete, wurde all jenen unweigerlich bewusst, die einmal in den Genuss einer Einladung im Hause Gruber in die Paulistraße 10 kamen. Und das waren viele. Über fast ein halbes Jahrhundert luden Renate und L. Fritz Gruber zu ihren legendären Soireen in den Gelben Salon nach Köln-Braunsfeld ein. Sei es zur photokina oder zu Festveranstaltungen der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh), sei es zu Ausstellungseröffnungen oder zum Jahrestag der Fotografie, der wie ein Ritual an jedem spätsommerlichen 19. August begangen wurde. Die Gästebücher legen heute noch Zeugnis ab von der Creme-de-la-Creme, die im Hause Gruber willkommen geheißen wurden. Sie reichte von Henri Cartier-Bresson bis Eikoh Hosoe, von Edward Steichen bis Annie Leibovitz. Es wurden dort Freundschaften geknüpft, Fäden gesponnen, Projekte für die Fotografie ermöglicht. Dabei waren die Zusammenkünfte im Sinne ihrer Gastgeber niemals elitär gedacht, sondern vielmehr im heutigen Sinne als „Open Space“.  Die Fotografie bedeutete Renate und L. Fritz Gruber stets ein Medium, das Menschen zusammenführt und zu verbinden vermag.

It’s Tea Time

Ihre Biografien veranschaulichen dann auch geradezu idealtypisch, wie in der geistig beengten Nachkriegszeit der Bundesrepublik ein offener und demokratisch gelebter Kulturbegriff innerhalb der Fotografie lebbar sein konnte. Renate Busch, aus einer kinderreichen Kölner Familie stammend, hatte den um knapp dreißig Jahren älteren Kurator der photokina Bilderschauen im Jahr 1958 kennengelernt. Nach ihrer Schilderung genügte eine Tasse Tee, die sie dem damals schon international berühmten Vermittler der Fotografie reichte, um ihm nach dem Tod seiner ersten Ehefrau urplötzlich wieder das Herz zu öffnen. In schönster Referenz mag man in der Anekdote einen entscheidenden Moment erkennen, der den Beginn einer der vielleicht fruchtbarsten „Love Stories“ der Fotogeschichte markiert. Fakt ist, dass Leo Fritz Gruber seine junge Ehefrau in den sechziger Jahren in die noch stark patriarchalisch geprägte Kulturwelt der Fotobranche einführte. Rasch erarbeitete sich die „junge Frau Gruber“ auf gemeinsamen Reisen, die sie etwa regelmäßig nach Paris zu Man Ray und seiner Ehefrau Juliet führten, einen eigenen Zugriff auf die Welt der Fotografie. Und eine eigene Expertise, die sie beharrlich weiterzuverfolgen wusste. 

Schon früh folgte Renate Gruber der Empfehlung von Rosselina Burri-Bischof, die ins Haus gekommenen Bilder, Bücher und Korrespondenzen für die Nachwelt aufzubewahren. Hieraus erwuchs über die Jahrzehnte dann jene enzyklopädische Fotosammlung, die in mehreren Tranchen ins Kölner Museum Ludwig überführt werden konnte. Der Schriftennachlass gelangte zu Großteilen ins Historische Archiv der Stadt Köln und wurde dort infolge des Einsturzes im März 2009 fatalerweise zerstört. Letztes Jahr konnte sich das Photobookmuseum die fünftausend Buchtitel umfassende Gruber Library. Die Fotobuchsammlung Renate und L. Fritz Gruber sichern, die einen weiteren Zugang zum universellen Fotografieverständnis des Sammlerpaars eröffnet. Im weitgefassten Spektrum von Schenkungen und Erwerbungen, Widmungen und Referenzen artikuliert der Fotobuchbestand des Ehepaar Gruber nicht weniger als eine eigene Matrix der Fotohistorie, die es aufzudecken und zu vermitteln gilt.

Kosmos Gruber

Mit rheinischem Charme folgte die begnadete Netzwerkerin der Fotografie auch nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 2005 ihrem Lebensziel und ließ sich dabei selbst von gesundheitlichen Rückschlägen nicht beirren. Nun ist Renate Gruber am 30. Oktober im Alter von 86 Jahren verstorben. Die fotografische Welt hat ihr viel zu verdanken, der Verlust ihrer Persönlichkeit wird zweifellos nicht nur im Rheinland eine Lücke reißen. Was von ihr bleibt, ist freilich nicht nur der Blick zurück auf ein von ihr mitgeprägtes goldenes Zeitalter der Lichtbildkultur, die in weiten Teilen noch analog geprägt gewesen ist. Sondern auch die Einladung, für die Zukunft das Fotografische im Sinne des „Kosmos Gruber“ ideologiefrei und offen zu denken. Und vielleicht auch zu leben. 

  

Das PhotoBookMuseum Team

November 2022 

 

Fotos: Marvin Ibo Güngör / The PhotoBookMuseum, August 2021